Kreisecke

Rede des Fraktionsvorsitzenden der Freien Wählervereinigung zum Kreishaushalt 2025 am 11.12.2024

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrter Herr Landrat Walter,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
meine sehr verehrten Damen und Herren,

vor knapp 7 Monaten am 9. Juni 2024 fanden neben den Wahlen zum europäischen Parlament auch die Kommunalwahlen statt. Unser Gremium wurde bunter und vielfältiger.
Letztendlich hat jede Kollegin und jeder Kollege hier im Gremium das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger erhalten. Egal ob man routiniert oder erfahren oder neu im Gremium ist. Es ist eine wichtige Aufgabe und eine sehr große Verantwortung.
Dieser Verantwortung kommt noch mehr Bedeutung zu, wenn, wie es sich abzeichnet, sich die Finanzlage der öffentlichen Haushalte dramatisch verschlechtert.


Liebe Kolleginnen und Kollegen,
dies ist meine 9. Haushaltsrede als Fraktionsvorsitzender der Freien Wählervereinigung. Seit über 25 Jahren gehöre ich dem Kreistag in Tübingen an. Die Finanzlage der Städte und Gemeinden und somit auch der Landkreise war jedoch noch nie so besorgniserregend wie sie für die Jahre 2025 ff. prognostiziert werden.
Ein kurzer Blick in die Anlage 3 zum HH „Entwicklung Steuerkraftsumme und Kreisumlage“ verdeutlicht dieses Dilemma sehr anschaulich und auf den Landkreis Tübingen herunter gebrochen auch sehr deutlich.

Stiegen in 2024 die Steuerkraftsummen der Gemeinden um 12,03 %, erhöhte sich die Kreisumlage um ganze 30,11 % auf rund 136.595.000 €.

Für das Jahr 2025 erhöht sich die Steuerkraftsumme um 1,00 %, die Kreisumlage um 19,61 % auf 163.381.000 € wie sie im Entwurf ausgewiesen ist.

Für 2026 wird eine weitere Erhöhung der Steuerkraftsumme um 1,38 % prognostiziert. Die Kreisumlage wächst dabei um bei 7,57 % auf
175.755.000 € in 2027 und 2028 soll die Steuerkraftsumme jeweils um ein Prozent steigen, die Kreisumlage um 3,59 bzw. 3,60 % auf 182.056.000 bzw. 188.603.000 €.

Die Ausgaben der Kreisumlagen steigen deutlich stärker prozentual und auch absolut, als die Steuerkraftsummen, mit denen die Umlage finanziert wird.


So kann und so darf es nicht weitergehen!

Die Hauptursache für diese hochproblematische Entwicklung der Kreisfinanzen liegt darin, dass in den vergangenen Jahren die gesetzlichen Pflichtaufgaben der Landkreise beständig ausgeweitet wurden und die Aufwandskosten aus bestehenden Pflichtaufgaben explodiert sind, ohne dass es dafür einen auch nur annähernd ausreichenden finanziellen Ausgleich gegeben hätte.

Bund und Land stellten Wechsel zulasten Dritter aus. Beispielhaft zu nennen sind die Bereiche der Eingliederung und Jugendhilfe. Angesichts des Finanzierungsdefizits, welche sich zwischen der Kostenbelastung der Landkreise aus der Erfüllung von Pflichtaufgaben einerseits und ihrer aktuellen finanziellen Ausstattung andererseits auftut, wird es ohne eine Priorisierung und vor allem auch eine Nachrangigkeit im Bereich der Pflichtaufgaben nicht gehen.

In unserem subsidiären Staatsaufbau mit den verschiedenen Ebenen kann Politik nur dann erfolgreich sein, wenn sie sich auch vor Ort erfolgreich umsetzen lässt. Die kommunale Realität muss daher die Leitleitlinie für die Rechtssetzung in Brüssel, Berlin und Stuttgart sein.

Bereits schon seit Jahren verweisen wir stetig auf diese Problematik. Leider hat sich in all den Jahren nichts geändert.
Bekanntlich feiern wir dieses Jahr 75 Jahre Grundgesetz.

Das Prinzip der kommunalen Selbstverwaltung ist verfassungsrechtlich durch Art. 28 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz und Art. 71 der Landesverfassung garantiert.

Hierzu zählt insbesondere auch die Finanzhoheit. Unter Finanzhoheit versteht man die Befugnis, eigenverantwortlich einen Haushalt aufstellen zu können, eigene Abgaben zu erheben und über ihre Einnahmen und Ausgaben grundsätzlich selbst zu verfügen. Das Land ist verpflichtet, die Gemeinden finanziell so auszustatten, dass sie ihre Aufgaben erfüllen können.

Nur der Gesetzgeber auf Bundes- und Landesebene kann diese Vorrangig- und Nachrangigkeit im Bereich der Pflichtaufgaben verbindlich regeln. Sie sind der Gesetzgeber, nicht der Kreistag Tübingen.

Der Bundes- und Landesgesetzgeber ist daher aufgerufen, zum einen den Umfang und die Tiefe der kommunalen Pflichtaufgaben, sowie zum anderen die finanzielle Ausstattung der Landkreise, Städte und Gemeinden neu zu justieren und
wieder ins Gleichgewicht zu bringen.
In vielen Bereichen ist allzu viel aus dem Lot geraten, sodass inzwischen sogar die kommunale Selbstverwaltung in ihrem Kern bedroht erscheint.
Wir müssen uns nicht mehr mit Fragen beschäftigen, was wir noch verteilen können?

Wir haben nichts mehr zu verteilen!

Laut Anlage 4 zum HH beträgt das kumulierte Ergebnis der HH-Entwürfe 2025 der Kommunen -56.976.385,00 € Diese Zahl bedarf keiner weiteren Kommentierung!

Nach § 49 Abs. 2 LKrO kann der Landkreis, soweit seine sonstigen Erträge und Einzahlungen nicht ausreichen, um seinen Finanzbedarf zu decken, eine Umlage (Kreisumlage) erheben.

Er kann, er muss nicht!

Stand heute kann von den 15 Städten und Gemeinden des Landkreises nur eine ihren Haushalt ausgleichen. In 2024 waren es noch drei.

Bereits bei meiner letztjährigen Haushaltsrede habe ich darauf verwiesen, dass wenn wir uns in Zukunft nicht auf das Wesentliche, auf das Notwendige und vor allem auf das dauerhaft Leistbare fokussieren, wir uns nicht mehr aus dieser Abwärtsspirale befreien können.

Wir müssen deutlich sagen was geht und deutlich artikulieren was nicht mehr geht.

Wir müssen diese Ausgabensteigerungen zukünftig rigoros verringern, damit wir nicht wie die Finanzplanung aufzeigt, handlungsunfähig werden. Und hierbei sind die Belastungen der Regionalstadtbahn noch gar nicht eingerechnet.

Und wir müssen uns ehrlich machen. Auch wir im Kreistag haben in den guten Jahren großzügig die ein oder andere freiwillige Aufgabe bzw. kommunale Aufgabe wie zum Beispiel den ÖPNV ständig ausgebaut.
Wir müssen Standards im Sozialen, die Personalausstattung, die Zeitschiene der RSB, mögliche Sachaufwendungen kritisch hinterfragen.

Insofern müssen wir uns auch für unseren eigenen Bereich - wo wir selber zuständig sind - die Mühe machen diese Aufgabenerledigung auf den Prüfstand zu stellen. Dies wird sicherlich nicht einfach. Aber haben wir eine Alternative?

Befinden sich die Kommunalfinanzen im freien Fall, so geht es nicht nur um finanzielle Probleme, es geht auch ganz wesentlich um die Frage, ob und wie die kommunale Daseinsvorsorge noch gewährleistet werden kann. Es geht um die Frage ob die Städte und Gemeinden des Landkreises in einer Zeit wirtschaftlicher Rezession in der Lage sind, durch öffentliche Investitionen auch wirksame Konjunkturanreize zu setzen.
Letztendlich geht es um nichts weniger als die lebendige, kommunale Selbstverwaltung, um eine gute Zukunft in den Landkreisen, Städten und Gemeinden und nicht zuletzt um den gesellschaftlichen Frieden und den Zusammenhalt vor Ort.
Neudeutsch müssen wir zu einem neuen „Mindset“ gelangen, der Gestalt, dass wir unsere Prioritäten danach richten, was für die Mehrheit der Bürger richtig ist und nicht was für eine Minderheit wichtig erscheint.

Und meine Damen, meine Herren, wir müssen möglicherweise auch auf die Hinterfüße stehen und dem Land und Bund die „Rote Karte“ zeigen.

In diesem Zusammenhang ist unser Antrag zum Kreishaushalt zu verstehen. Zunächst sind alle Verbesserungen durch Zuweisungen des Landes oder Bundes oder weiteren Finanzeinnahmen dazu zu verwenden, den Mehrbedarf der Kreisumlage zu reduzieren. Der letztendlich verbleibende Defizitanteil soll dann im Wege einer fairen Partnerschaft zwischen Städten und Gemeinden einerseits und dem Landkreis andererseits hälftig übernommen werden.

Das verbleibende Defizit des Landkreises muss als offener Fehlbetrag ausgewiesen werden. Hierdurch soll auch das eindeutige politische Signal gesendet werden, dass die Städte und Gemeinden nicht länger als Ausfallbürge des Landes und des Bundes herhalten. Und dieser Antrag ist möglicherweise auch die Voraussetzung hierfür, dass der Landkreis Tübingen, sofern sich die finanziellen Rahmenbedingungen nicht ändern, auch in die Lage versetzt wird, gegen das Land oder den Bund zu klagen.
Parallel hierzu soll eine Haushaltskommission etabliert werden, die im Laufe des Jahres 2025 zunächst die originären Kreisaufgaben und somit die Ausgaben unter die Lupe nimmt, für die wir selbst zuständig sind.
Mit Hilfe von Kennzahlen sollen mögliche Ausgaben, Leistungen oder Standards identifiziert werden die möglicherweise andernorts gar nicht oder in deren Höhe anfallen.

Wir sind uns als FWV auch bewusst, dass dieses Unterfangen nicht einfach werden wird, aber angesichts der Dramatik der Finanzlage bleibt uns keine andere Option als diesen „Kernerweg“ zu beschreiten.

Frei nach Hermann Hesse:

„Damit das Mögliche entsteht, muss immer wieder das Unmögliche versucht werden“.

Uns allen wünsche ich schon heute ein neues Jahr, das nicht von Pessimismus, sondern von Dankbarkeit, Mut und Optimismus geprägt ist.
Es liegt in unserer aller Hand.

Termine

Sitzungen des Kreistags

Wir laden alle Bürgerinnen und Bürger in die öffentlichen Sitzungen des Kreistages ein. Die genauen Sitzungstermine können Sie der Homepage des Kreistags entnehmen:

Kreistag des Landkreis Tübingen